2022-07-03 10:01:00 Automobile

Zeit-Raffer (3): Motorjournalismus – Sein oder nicht sein, ist das noch eine Frage?

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Fotos: Autoren-Union Mobilität/privat

Wenden stecken voller Drama und damit voller Möglichkeiten für Beobachter. Schleichenden Veränderungen können ebenso zu einem dramatischen Ende führen. Ob sie uns nun aufgezwungen oder von uns selbst betrieben wurden – am Ende stehen oft zwei Fragen: War uns klar, worauf das alles hinausläuft? Hätten wir etwas ändern wollen oder müssen? Mit einer lockeren Reihe von Beiträgen unter dem Motto „Zeit-Raffer“ wollen wir die Landschaft der Medien und speziell den Wandel im Motorjournalismus zeigen, dargestellt anhand sehr persönlicher Erfahrungen. Heute berichtet Hans-Robert Richarz von 50 Jahren zwischen Lenkrad und Tastatur.

Der Groschen ist bei mir recht spät gefallen. Dass ich mehr als nur eine Spur Benzin im Blut habe und in meinen Genen eine große Liebe zu allem steckt, was motorisiert ist, zeigte sich erst Mitte der 1975er Jahre, als ich bereits 28 Lenze auf dem Buckel hatte. Dabei hätte ich es schon viel früher wissen müssen.

Von klein an begleitete mich nämlich ein Foto meines Großvaters aus dem Jahr 1912, das ihn mit stolz geschwellter Brust am Steuer eines Autos der preußischen Rheinarmee zeigte. Großvater, der noch vor meiner Geburt starb, war es auch, der nach dem Ersten Weltkrieg als einer der ersten Binnenschiffer auf dem Rhein zwischen Bonn und Koblenz ein Motorboot mit schnelllaufendem Dieselmotor betrieb und damit zunächst Güter, dann Passagiere beförderte. Angeblich schickte Jean Richarz – im Rheinischen vergewaltigte man das „Jean“ zu „Schäng“ – vor Antritt einer jeden Fahrt die Besatzung in die Kirche, um Gottes Beistand für die junge Technik zu erbitten. Das setzte sich auch nach 1929 fort, als Großvater zu den Gründern der Bonner Personenschiffahrt eG gehörte, die demnächst ihren 100. Geburtstag feiern wird. Ihm habe ich wohl meine Begeisterung für alles Motorisierte zu verdanken.

Als Kind einer Schifferfamilie sollte auch ich das Kapitänspatent erwerben, doch ich entschied mich anders. Natürlich arbeitete ich in den Schul- und später den Semesterferien auf dem Schiff, doch nach Abitur und Studium landete ich per Zufall in der Redaktion eines namhaften Kölner Wirtschaftsmagazins. Als Volontär schrieb ich dort meine ersten Geschichten über Bilanzen und Unternehmen, brachte 1974 sogar ein Interview mit dem ehemaligen Reichsrüstungsminister Albert Speer zustande, aus dessen Ministerium sich die Managerelite des Wirtschaftswunders rekrutiert hatte. Das muss meinen Chefredakteur Ferdinand Simoneit damals beeindruckt haben.

Am 1. Mai 1975 kam ich dann zum Motorjournalismus wie die Jungfrau zum Kind. Simoneit war von Köln aus als Redaktionsdirektor zu den Vereinigten Motorverlagen in Stuttgart gewechselt und führte gleichzeitig als Chefredakteur die Redaktion von „auto motor und sport“ an. Dort hatte er für mich einen Job als Redakteur reserviert. Aus mir könne er eine passablen Journalisten machen, meinte er.

Für mich begann eine Lebensphase, die ich nicht missen möchte. Fast jeden Tag ein anderes Auto fahren, als Mitglied des marktbeherrschenden Motormagazins auf Augenhöhe mit Presseleuten und Technikern der Branche stehen, anerkannt als Kenner der Materie zu sein (eine Fähigkeit, die ich mir erst noch aneignen musste) und zumeist ernst genommen. Mit anderen Worten: Jetzt ging die Sonne auf.

Da ich im Gegensatz zu meinen Kollegen in der Redaktion Ökonomie studiert, von wirtschaftlichen Zusammenhängen Ahnung hatte und Bilanzen lesen konnte, knüpfte mein Chefredakteur für mich Kontakte zu wichtigen Größen der deutschen Automobilindustrie, die sich selbst wiederum gern in unserer Stuttgarter Redaktion die Klinke in die Hand gaben. So habe ich die meisten der damaligen Bosse aus Wolfsburg, Köln, Rüsselsheim, Ingolstadt oder München vom Stuttgarter Flughafen in die Leuschnerstraße zu „auto motor und sport“ in der Innenstadt kutschiert. Lebhaft in Erinnerung geblieben dabei ist mir zum Beispiel Toni Schmücker, VW-Chef von 1975 bis 1982, der mit mir auf der kurzen Fahrt Erinnerungen an Köln austauschte.

Im Gegensatz zu Schmücker beorderte Joachim Zahn, der von 1971 bis 1979 die Daimler Benz AG als Vorstandsvorsitzender anführte, in regelmäßigen Abständen Stuttgarter Motor- und Wirtschaftsjournalisten telefonisch in sein Büro in Untertürkheim zum Frühstück, wenn er etwas mitzuteilen hatte. Diese Anrufe kamen meist in aller Herrgottsfrühe, und die Kollegen und ich hatten nur knapp Zeit, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben.

An ein Treffen mit Bob Lutz, Mitte der 1970er Jahre Chef von Ford in Köln und Ford of Europe, erinnere ich mich besonders gerne. Im Anschluss an eine Pressekonferenz hatte Ford zu einem kalten Buffet geladen, in dessen Mitte ein unübersehbarer Topf mit edelstem russischem Kaviar stand. Die meisten Kollegen machten um die „nach Fisch schmeckende Brombeermarmelade“ einen Bogen. Schließlich raffte sich Lutz, neben dem ich am Tisch saß, auf und schnappte sich den Kaviar, den er mit mir dann brüderlich teilte.

Die schillerndste Figur aus der obersten Etage der internationalen Automobilindustrie war neben einigen Größen aus Tokio oder Toyota-City Henry Ford II, den ich zu einem Exklusiv-Interview in Detroit bewegen konnte. Damals wurde bei solchen Meetings noch nach Kräften gequalmt, wobei Ford die Asche seiner Cohiba-Zigarre in einen streng für ihn reservierten überdimensionalen Aschenbecher abstreifte. Sein Gast musste sich mit einem Miniexemplar begnügen.

Daneben kam aber das Autofahren nicht zu kurz. Ich durfte so ziemlich alles bewegen, was damals auf vier Rädern Gang und gäbe war – vom Nachbau der Motorkutsche von Carl Benz, mit der seine Frau Bertha 1888 von Karlsruhe nach Pforzheim gefahren war, über Brot- und Butter-Autos, teure Sportwagen bis zu den jüngsten Modellen von Rolls-Royce. Meine Liebe zu Oldtimern erwachte bei einem Besuch des National Motor Museums von Lord Montagu of Beaulieu, südwestlich von Southampton. Die Geliebte seines Vaters hatte einst für die Rolls-Royce-Kühlerfigur Spirit of Ecstasy Modell gestanden. In Beaulieu sind mir Fahrten mit einem De-Dion-Bouton von 1902 und einem 1936er Rennwagen von Bentley in Erinnerung geblieben, der zu seiner Zeit in Le Mans Furore gemacht hatte.

Die Arbeit brachte Spaß. Einziger Nachteil: Ich war Angestellter eines Stuttgarter Verlags, der bei den Gehältern seiner Mitarbeiter schwäbische Sparsamkeit an den Tag legte. So ereilte mich nach vier Jahren im Süden ein willkommener Ruf zurück nach Köln. Angesichts der Verdoppelung meines Gehalts konnte ich als stellvertretender Chefredakteur der „auto motor und sport“-Konkurrenz „Autozeitung“ nicht nein sagen. Ich hatte eine junge Familie und brauchte das Geld. Der Job in der Domstadt war allerdings alles andere als ein Zuckerschlecken. Ich hatte zwar eine Redaktion, die zu mir hielt, jedoch einen Chefredakteur über mir, der keine fremden Götter neben sich duldete. Trotzdem hielt ich es vier Jahre dort aus, bis ich die Nase voll hatte, blieb aber dem Verlag treu und nahm mir eine zweijährige Auszeit im Boulevardjournalismus.

An dieser Stelle dürfen einige Bemerkungen zum Motorjournalismus nicht fehlen. Er steht so wie der Reisejournalismus im Verdacht der Bestechlichkeit. Gewiss mag die Versuchung groß sein, angesichts von Recherchen in aller Welt, luxuriöser Reisen und Unterbringung in den besten Hotels Gutes mit noch mehr Gutem heimzuzahlen. Auch gab es Auswüchse wie zum Beispiel Reisen nach Japan, zu denen ein touristischer Ausflug in die Südsee zählte. Doch zur Korruption zählen immer zwei – einer der besticht und einer der sich bestechen lässt. Da konnte eine Veranstaltung noch so exklusiv sein, einen Satz wie „das Auto hat einen guten Geradeauslauf, insbesondere in Kurven“ konnte sie nicht verhindern. Und Mercedes musste sich über die Bezeichnung eines Schalters mit zu vielen Aufgaben über die Bemerkung „eierlegende Wollmilchsau“ ärgern.

Chefredakteur Simoneit in Stuttgart hatte einen Blankoscheck eines südeuropäischen Autoherstellers eingerahmt an der Wand hängen, der ursprünglich für die Begleichung seiner Reisekosten gedacht war. Mir selbst stellte mal ein Fahrzeughersteller aus Nordeuropa einen Testwagen vor die Tür, in dessen Kofferraum ein für mich vorgesehener Farbfernseher lag – zu einer Zeit, als solche Geräte noch als purer Luxus galten. Auto und Glotze wanderten wieder ungetestet zurück.

Erstaunt und geärgert hat mich in diesem Zusammenhang, dass sich ein Kollege, von dem alle wussten, dass er gerne die Hand auf hielt, in einer kritischen Fernsehsendung etwa mit den Worten zitieren ließ: „Im Grunde ist der Eintritt in den Motor-Journalismus so etwas wie ein Dauerticket für irgendein Reiseunternehmen, mit dem man ständig um den Globus reisen kann. Außerdem brauchen sie kein eigenes Auto, weil ihnen das die Industrie bezahlt.“

1986 kehrte ich zur Auto-Berichterstattung zurück und gründete mein eigenes Unternehmen für Public Relations. Ich entwickelte für eine Reihe von Autokonzernen, Banken und Chemieunternehmen markenbezogene Kundenzeitschriften. Gegen Ende der 1990er Jahre zog es mich jedoch mit Macht wieder in den Motorjournalismus. Zwölf Jahre lang – bis zum Erreichen des Rentenalters schrieb ich für den Hamburger „stern“ Geschichten rund um das Auto – von Fahrberichten bis zu Verbraucherthemen.

Inzwischen aber hatte sich das Berufsfeld verändert. Bei Präsentationen drängten sich neuerdings Fernsehteams untergeordneter TV-Sender arrogant, aber erfolgreich in den Vordergrund, über deren Einschaltquoten ich als „stern“-Mitarbeiter nur lachen konnte. Und auch die Leute in den Presseabteilungen waren andere geworden. Nur noch japanische und südkoreanische Unternehmen schickten mit Notizblock und Kugelschreiber bewaffnete Mitarbeiter vor, um uns nach ersten Probefahrten nach allen Regeln der Kunst auszuquetschen. Die übrigen beschränkten sich darauf, die Testfahrzeuge zu versorgen.

Seeleuten wird nachgesagt, das sie – wenn sie einmal den Anker „verschluckt haben – nie wieder von der Seefahrt lassen können. Bei mir liegt die Vermutung nahe, dass es sich beim Motorjournalismus ähnlich verhält. So lernte ich kurz vor meinem Eintritt ins Rentenalter bei einer Auto-Präsentation im norwegischen Lillehammer einen gewissen Peter Schwerdtmann kennen, von dessen Nachrichtenagentur „auto-medienportal“ ich damals noch keine Ahnung hatte. Das war 2012, inzwischen arbeite ich seit zehn Jahren für ihn.

Doch soll man jungen Leuten, die sich mit ihrer Berufswahl beschäftigen, heute noch raten, Motorjournalist zu werden? Ich glaube nein. Die goldenen Zeiten dieser Branche, die sich in den von mir beobachteten 50 Jahren grundlegend verändert hat, gehören der Vergangenheit an, ihr bläst der Wind ins Gesicht.

Ein wachsender Teil der Bevölkerung hält den motorisierten Individualverkehr aus ideologischen Gründen für nicht mehr zeitgemäß, weil er Fußgänger, Radfahrer und spielende Kinder beiderlei Geschlechts benachteilige. PS-starke und mit fossilen Brennstoffen wenig zimperlich umgehende Personenwagen gehören seiner Meinung nach auf den Index, freie Fahrt auf Autobahnen gilt mit immer neuen Argumenten als verabscheuungswürdig. Neuerdings ist es nicht mehr der Klimawandel, sondern der Krieg in der Ukraine, der für ein Tempolimit herhalten soll.

In der grün-linken „taz, die tageszeitung“ war 2021 zum Thema Motorjournalismus ein hassgefüllter Artikel zu lesen, in dem unter anderem stand: „Der Zustand des deutschen Motorjournalismus ist alles andere als in Ordnung.“ In keinem der von Autor Manfred Unfried recherchierten Autotests habe gestanden, „dass ein getesteter Wagen mit Blick auf die Linderung der Klimakrise in keinem Fall empfehlenswert ist. In keinem Artikel stand: Der Verbrauch des Autos an fossilen Treibstoffen ist eine klimapolitische Unverschämtheit“.

Fazit des Autors: „Die Antworten auf Fragen der Zeit gibt in Deutschland YouTube. Eine Tageszeitung oder Autozeitschrift braucht man dafür nicht zu kaufen. Denn da steht das nicht drin.“ In der Tat, besonders deutlich wird der Wandel im Motorjournalismus durch die zahlreichen Internet-Blogs zum Thema Auto. Das Spektrum reicht von Privatpersonen, die ihre persönliche Meinung kundtun, bis zu Bloggern, die ihre Fahne professionell in die Windrichtung aus den Marketingabteilungen der Industrie hängen. Machen sie das geschickt, können sie sogar davon leben. Mittlerweile kann nämlich jeder im Internet zum Autotester werden.

Es gibt aber auch wirtschaftliche Gründe, den Berufswunsch „Motorjournalist“ an den Nagel zu hängen. Es stellt sich die Frage, wie viele Motorjournalisten sich die Verlage in Zukunft noch leisten können und wollen. Bereits heute ist das Auto- oder Motor-Ressort in den meisten überregionalen Magazinen und Tageszeitungen verschwunden.

Seit einiger Zeit verbreitet sich zudem ein weiterer Trend, der dem seriösen Motorjournalismus das Wasser abgraben soll, nämlich die Zusammenführung der Abteilungen Marketing mit denen von Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Jüngstes Beispiel dafür ist der Deutschland-Ableger von Volvo, der diese Entscheidung just veröffentlicht, als ich dabei bin, mein Leben als Auto-Schreiberling zu reflektieren. Da wäre es doch eigentlich angebracht, Meldungen aus dem Hause Volvo zukünftig grundsätzlich mit dem Label „Anzeige“ zu versehen. Schließlich fordert der Deutsche Presserat unter Ziffer 7 seiner Grundsätze eine strenge „Trennung von Werbung und Redaktion“.

Die wenigen ernst zu nehmenden Fachzeitschriften machen angesichts einer düster erscheinenden Aussicht für die Motorjournaille den Kohl auch nicht fett. Die Zukunft wird wenigen Dienstleistern gehören wie zum Beispiel der Autoren-Union Mobilität. (Hans-Robert Richarz, cen)


Veröffentlicht am 03.07.2022

Zeit-RafferHans-Robert Richarz


 
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