2022-07-26 09:21:00 Automobile

Ohne Band und Takt zu 20 Prozent mehr Effizienz

Carzoom.de
Fotos: Autoren-Union Mobilität/Audi

Das Fließband gibt in der Automobilproduktion seit mehr als einem Jahrhundert den Takt vor. Angesichts der zahlreichen Derivate und Möglichkeiten der Individualisierung stößt das Band an Grenzen. Als weltweit erster Hersteller führt Audi deshalb die Modulare Montage als zusätzliche Organisationsform ein. „Indem wir die Fertigungszeit dank der Wertschöpfungsorientierung und Selbststeuerung reduzieren, lässt sich die Produktivität um rund 20 Prozent steigern“, rechnet Projektleiter Wolfgang Kern aus dem „Production Lab“ von Audi vor.

An die Stelle des starren Fließbands rücken bei der Modularen Montage dynamische Abläufe mit einer variablen Abfolge der Stationen und variantenabhängigen Bearbeitungszeiten („virtuelles Fließband“). Soweit die Theorie. Als Vorbereitung für den praktischen Einsatz in der Serienproduktion setzt das Team um Kern das Konzept in der Vormontage von Türinnenverkleidungen im Werk Ingolstadt um. „Die Modulare Montage ist eine unserer Antworten auf die zukünftigen Anforderungen an die Produktion“, sagt Gerd Walker, Audi Vorstand für Produktion und Logistik. „Wir nutzen hier digitale Technologien gezielt zum Vorteil für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erhalten gleichzeitig eine flexiblere und effizientere Montage“, ergänzt Walker.

Ein großer Vorteil des flexiblen Systems: Audi kann Mitarbeiter beschäftigen, die in der Linie aufgrund von körperlichen Einschränkungen nicht eingesetzt werden können. „Wir sind in der Lage, die Arbeitsumgebung an deren Verhältnisse anzupassen, was am Fließband heute nur sehr bedingt möglich ist“, sagt Kern. „Wir nutzen eine flexiblere Automatisierung im Produktionsprozess, um die Menschen zu entlasten.“ So profitieren alle Mitarbeiter von der gleichmäßigen Arbeitsbelastung durch variantenabhängige Bearbeitungszeit anstelle einheitlicher Taktzeiten. Eine ergonomische Anpassung an individuelle Bedürfnisse ist somit möglich.

Im Testbetrieb folgen die Aufträge nicht mehr einer einheitlichen Reihenfolge, sondern dem jeweiligen Bedarf. Fahrerlose Transportsysteme (FTS) befördern die Türverkleidungen genau an die Station, an der die Komponente einen Montageumfang benötigt. Zum Beispiel wird in einer Station das Lichtpaket mit Kabeln und Beleuchtungselementen montiert. Aufträge ohne Lichtpaket machen einen Bogen um diese Station. In einer anderen Station baut ein Mitarbeiter das komplette Sonnenrollo für die hinteren Türen ein. Am Band müsste der Umfang aufgrund des vorgegebenen Taktes auf zwei oder drei Mitarbeiter aufgeteilt werden, was nicht effizient ist und zu Qualitätsrisiken führen kann.

Häufen sich die Aufträge an einer Station, fahren die FTS das Produkt zur Station mit der kürzesten Wartezeit. Zusätzlich wird die Belegung der Arbeitsplätze zyklisch überprüft und angepasst. „Die Flexibilität mit der dahinterstehenden Steuerungslogik ist im Vergleich zu heutigen Organisationsformen eine wesentliche Weiterentwicklung“, betont Kern. Die einzelnen Stationen und das modulare Produktionssystem sind anders als beim Fließband nicht auf eine stabile Nachfrage ausgelegt (optimaler Betriebspunkt), sondern können in einer bestimmten Bandbreite effizient betrieben werden (optimaler Betriebsbereich).

Bei einer hohen Bauteilvarianz ist das Ware-zu-Person-Prinzip die Lösung. Die FTS bringen beispielsweise die Kabelbäume der Türverkleidungen sortenrein zu den Mitarbeitern, die das benötigte Teil entnehmen. Die anderen gleichen Teile fahren zurück in die Warteposition, weil bei der nächsten Türverkleidung in der Regel eine andere Bauteilvariante benötigt wird. Die sortenreine Bereitstellung per FTS macht eine vorgelagerte Vereinzelung überflüssig.

Die zentimetergenaue Ortung läuft über ein Funknetz. Ein zentraler Rechner lenkt die FTS. Mit einer Kameraprüfung lassen sich außerdem Qualitätsprozesse integrieren. Im Vergleich zum Fließband kann bei Unregelmäßigkeiten leichter und schneller reagiert werden. Folgeaufwände lassen sich so vermeiden. „Wir verbinden die hohe Arbeitsteilung des Fließbands mit einer ganzheitlichen Betrachtung nach Lean-Prinzipien und den neuen Möglichkeiten von cyber-physischen Produktionssystemen“, erklärt Kern.

Im nächsten Schritt wollen Projektleiter Kern und sein Team die Modulare Montage in eine größere Vormontage integrieren. Genau dort, wo hohe Varianz und Dynamik vorhanden sind, um effizienter mit dieser umzugehen, als das heute möglich ist. „Die Entkoppelung der Stationen ermöglicht eine Umplanung mit weniger Aufwand“, sagt Kern. Durch die flexible Hardware mit den Fahrerlosen Transportsystemen sind oft nur Einstellungen an der Software nötig. Die Stationen lassen sich einfacher an Angebot und Nachfrage anpassen als im verketteten Fließband. (aum)


Veröffentlicht am 26.07.2022

UnternehmenAudimodulare Montagefahrerlose Transportsysteme


 
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