2022-06-30 09:01:00 Automobile

Zeit-Raffer (2): Aufgeben ist auch keine Lösung

Carzoom.de
Fotos: Auto-Medienportal.Net/Richard Newton

Wenden stecken voller Drama und damit voller Möglichkeiten für Beobachter. Schleichenden Veränderungen können ebenso zu einem dramatischen Ende führen. Ob sie uns nun aufgezwungen oder von uns selbst betrieben wurden – am Ende stehen oft zwei Fragen: War uns klar, worauf das alles hinausläuft? Hätten wir etwas ändern wollen oder müssen? Mit einer lockeren Reihe von Beiträgen unter dem Motto „Zeit-Raffer“ wollen wir die Landschaft der Medien und speziell den Wandel im Motorjournalismus zeigen, dargestellt anhand sehr persönlicher Erfahrungen. Heute fragt sich unser Senior Peter Schwerdtmann, ob der Zeitgeist nicht längst eine Runde Vorsprung vor jedem Fachjournalisten hat?

Das Auto drängte sich mit Krach und feinem Leder in mein Leben: Erst kippte vor dem Lebensmittelladen meiner Eltern das Tempo-Dreirad unseres Kohlenhändlers um und ließ Hunderte Briketts vor unsere Tür poltern. Später konnte ich mich nicht sattsehen an den voluminösen roten Lederpolstern des schwarzen Opel Kapitän des Chefs der Stadtwerke Linden.

War das schon die frühkindliche Prägung aufs Automobil?

Oder erst das: Als Schlüsselkind verbrachte in meine Zeit zwischen Schule und heimkehrenden Eltern in kurzen Lederhosen auf der Tankstelle der Mercedes-Benz Niederlassung am Klingerplatz. Der Tankwart ließ mich gewähren, vermutlich wusste er, dass die Freundin meiner Mutter die Sekretärin des Chefs war. Als die Tante Erika mich eines Tages an die Hand nahm und in die Werkstatt führte, verlor ich mein Knaben-Herz. Vor mir stand zwischen all den hochbeinigen Vorkriegsschönheiten und ersten Pontons ein Besuch aus ungeahnter Ferne: strahlendes Silber, eine Form wie ein Warbird, mit Flügeln, die ich schließlich als Türen erkannte. Und drinnen rotes Leder, wie beim Kapitän, nur straffer. Ich durfte den 300 SL nur anschauen. Schließlich war ich noch lange nicht reif für diese Schönheit.

Ist das nun endgültig der Einstieg in die Lebenslinie eines Petrolheads?

Ich hatte keinen Plan B, als ich mich für eine der beiden Volontärstellen der „Hannoverschen Allgemeinen“ bewarb. Ich wollte ums Verrecken Journalist werden. Und das im beeindruckenden Höger-Hochhaus am Steintor, in dem schon Rudolf Augstein den „Spiegel“ abgesahnt und Henry Nannen das „Sternchen“ abgestaubt hatte. Meine Erwartungen trafen zu: Hier war ich umgeben von Menschen, die ihre Lektion gelernt hatten, die für unsere Demokratie und ihre Verantwortung einstanden und für die Selbstdarstellung zu den Todsünden des Journalismus zählte.

Das war das Ende jeglicher Prägung auf eine Nebensache wie das Auto.

Der Chefredakteur „Häuptling schnelle Feder“ holte mich brutal ins Tagesgeschäft. Er schickte mich als frisch gebackenen Jungredakteur genau in die Redaktion, für die Kollegen nur abfällige Bemerkungen übrighatten. Mein Häuptling setzte mich in die Redaktion „Auto und Straße“, zu der frustierenderweise auch noch die Reiseseite gehörte. Der Chef galt als weltfremd, mehr mit Kunst und seiner Seele befasst.

Es brauchte ein paar Wochen aktiven Schmollens und passiven Widerstands, bis ich begriff, warum ich in dieser Redaktion saß. Mein Häuptling wollte die von wohlgefälligem Genuss geprägte Haltung gegenüber dem Auto korrigiert sehen. Was das bedeutete, zeigt mir mein erster Testwagen unmissverständlich. Zehn Mal schöner und fünf Mal stärker als mein 65er Käfer lehrte mich der BMW 2800 CS Mores. Immerhin trafen meine Artikel auf der Motorseite in der Wochenendausgabe auf eine Auflage von rund 500.000 und damit auf sehr viele Leser, die ihrer Tageszeitung damals mit ungebrochenem Vertrauen begegneten.

Hätte ich mich schämen müssen für die Anzeigen unter meinen Texten?

Auch das lernte ich rasch, weil ein bekannter norddeutscher Hersteller seinen Anzeigenboykott wegen eines Autotests von mir („Meisterwerk mit Macken“ über den ersten Golf) wegen der Proteste seiner Händler keine zwei Wochen durchhielt: Rund ein Viertel der Anzeigeneinnahmen der Zeitung hatten mit dem Auto zu tun. Heute sind die Auto-Anzeigen in Tageszeitungen selten.

Vor dem massenhaften Auftreten von Internet-Publikationen hatten wir die Abhängigkeit von Anzeigenkunden stets für die größte Gefährdung des Journalismus gehalten. Heute erleben wir, dass die Abwesenheit von Anzeigen- oder Werbekunden sich deutlich negativer auf die Freiheit des Journalisten auswirkte. Ausgerechnet die Anzeigenkunden hatten uns ein größeres Maß an Unabhängigkeit verschafft. Abseits mancher peinlicher Entgleisungen auf beiden Seiten gab es doch ein Gleichgewicht der Kräfte.

Es ist wahr: Manche Abhängigkeit schädigte den Ruf der Journaille. Dennoch ließ sich das Verhältnis innerhalb der Szene unwidersprochen als Symbiose beschreiben. Auch die größten Unternehmen wollten das Echo der Medien, einerlei ob kritisch, distanziert oder freundlich. Jeder brauchte jeden. Die Hersteller wollten die Rückkopplung und die Aufmerksamkeit, die Händler anschließend das passende Umfeld für ihre Anzeigen, und die Leser brachten dem Motorschreiber ihrer Zeitung Vertrauen entgegen. Doch diese Art der „Checks of Balances“, des Gleichgewichts der Kräfte zum Nutzen aller, strandete irgendwo auf dem Pannenstreifen der Datenautobahn.

Viele Fachredaktionen wurden schon in den ersten Einspar-Runden ausgedünnt oder ganz geopfert. Gerade bei den intern ungeliebten Autoseiten fiel das leicht. Denn lautstarke gesellschaftliche Gruppen hatten das Auto inzwischen als das Krebsgeschwür der Gegenwart denunziert. Da hielten die Kollegen lieber Distanz zu den Parias und folgen im Zweifelsfall dem Zeitgeist. Und so stehen wir heute Entwicklungen gegenüber, die so gar nicht mit dem Wunsch nach einem Gleichgewicht der Kräfte in Einklang zu bringen sind:

Das Auto eignet sich sehr gut als Fallstudie, an der sich die Versäumnisse der Medien und deren Folgen zeigen lassen.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir die Verkehrswende und die Energiewende diskutieren, ist die Stimme des Fachjournalismus auf wenige Medien beschränkt und wird generell gern überhört. Außerdem haben in vielen klassischen Medien per Führerscheininhaber als kompetent ausgewiesene Kollegen aus den Ressorts Politik und Wirtschaft das Thema gekapert. Die ziehen sich gern auf Zitate von den „Experten“ zurück, die sich dem Mainstream verschrieben haben. Diese Kompetenzlücken haben erst das Internet und dann die Verlagsmanager gerissen, getrieben von dem Zwang, aus dem Tendenzbetrieb des Verlegers von einst eine für Investoren akzeptable Publikation zu bauen.

Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir um den Dialog brauchen, agiert die Presse eher als Mainstream-Beschleuniger und nicht als Denkposten. Zu viele vernachlässigen gerade in den Bereichen, die sie selbst nicht für wichtig halten, ihre Aufgabe des Auswählens, Filterns und Gewichtens. Sie kaschieren das durch Füllstoff mit Themennähe.

In diese weiche Flanke stoßen heute auch die, die in alten Zeiten zu ihren neuen Autos gar nicht genug Echo aus den Redaktionen bekommen konnten. Sie brauchen die alten, vertrauensvollen und von Respekt getragenen Beziehungen nicht mehr. Zwar werden die Presseabteilungen aktuell eher größer, aber nicht, weil sie den Kontakt zu Fachjournalisten und den wenigen Fachredaktionen intensivieren wollen. Die Presseabteilungen unterhalten heute ganze Büros voller Schreiber und nennen das Redaktionen. Die liefern gern, gut geschrieben, ungefiltert und ungewichtet, aber geeignet, Medien dabei zu helfen, die Lücken bei Manpower und Kompetenz zu kaschieren.

Ausgerechnet das Internet, das die klassischen Medien und damit die Vielzahl der Redaktionen mit einer Vielzahl von Fachjournalisten abwürgt, wird nun zu einem Instrument der Einflussnahme.

Zum Beispiel die Daimler AG. Sie hat vor einigen Monaten unter ihrer neuen Kommunikationsleitung ein Konzept präsentiert, in dem die Fachpresse und die Journaille nur noch als Umweg zum Kunden erwähnt werden. Eigene Internetauftritte aller Art in den Social Media übernehmen die Botschaften, flankiert von Influencern. Auch BMW und andere haben ganz oder teilweise mit einem sehr ähnlichen Konzept nachgezogen, bei denen Agentur-Verbünde für die direkte und gezielte Ansprache des Kunden zuständig sind.

Die Absender der Botschaft werden es nicht als dreist empfinden. Bei mir wehrt sich aber alles. Es kommt aber auch Mitgefühl für die ernsthaften Mitarbeiter in den Presseabteilungen auf, die ihren Internetauftritt wieder für Marketingsprech öffnen müssen. Da erklärt dann mal eben die für die gesamte Kommunikation des Unternehmens zuständige Leadagentur in einer unverständlichen Nerd-Sprache, dass sich die Presseabteilung von ihren überkommenen Aufgabe verabschieden kann.

Hinter all der Fremdsprache der Agenturen und des Marketing steht eine schlecht versteckte Botschaft: Umgeht den Filter und das Korrektiv der Presse. Nutzt jede Chance, den Interessenten direkt anzusprechen, lasst ihn nicht aus den Klauen, vermeidet jede Verwirrung!

Aus Verlegern wurden Manager, aus Unternehmern Dienstleister für Investoren, aus Verantwortung wurde Umsatzverantwortung, aus Werten wurde Ergebnis.

Verleger, eine unabhängige Presse, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit, auch die andere Seite hören, Schutz der Persönlichkeit, Offenheit, Gewaltenteilung, vierte Macht – alles Begriffe, die Politik, Unternehmer und Verleger einst zur Beschreibung der „Shared Balances“ verwenden konnten. Und heute, im Zeitalter der Manager, Investoren und Stakeholder? Woher nimmt sich ein alter Fachjournalist eigentlich das Recht, solche Vorwürfe zu formulieren? Die Antwort auf diese Frage, die ich mit schon so oft gestellt habe: Häuptling schnelle Feder hat mich Anfang der 70ger stubenrein abgerichtet, indem er mir immer wieder Dreck unter die Nase gerieben hat und das Einhalten der journalistischen Ethik eingefordert hat. Hier bin ich nun. Ich kann nicht anders als zu versuchen, Verbündete zu finden.

Vor wenigen Wochen meldete Mercedes-Benz, dass sie eines der beiden Uhlenhaut-Coupés verkauft haben. Mag sein, dass es das war, das ich nicht anfassen durfte und dennoch heimlich streichelte. Als Mercedes-Benz mir vor ein paar Jahren mir ein paar Runden mit einem silbernen Flügeltürer schenkte, erinnerte ich mich an diese frühe Szene. Und auch Opel hat mich in einem Kapitän mit roten Lederpolstern fahren lassen. Doch diese Beispiele für Privilegien ändern nichts an meiner Überzeugung aus Jungredakteurs-Tagen: Gerade jetzt braucht unsere Gesellschaft den Motorjournalismus, nicht nur in seiner Rolle als beschreibender Kritiker, sondern als Sachkundiger in einem komplexen Themengeflecht.
Werden wir den Kampf um das bessere Argument in der Presse verfolgen können? Oder überlassen wir unser Schicksal gleich denen, die am lautesten die plausibelsten Meinungen vertreten?

Ich hoffe immer noch, dass der Mensch, den ich aus alter Gewohnheit immer noch „Leser“ nenne, erkennt, wem er vertrauensvoll zuhören kann. Oder bin ich doch von meiner frühkindlichen Prägung aufs Auto versaut, verstehe die Zeichen an der Wand nicht?

Wenn ja, bin ich eben naiv. Aber Aufgeben ist auch keine Lösung. (Peter Schwerdtmann, cen)

Veröffentlicht am 30.06.2022

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