2023-02-24 09:01:00 Automobile

Fahrbericht Ora Funky Cat: Der hört aufs Wort

Carzoom.de
Fotos: Autoren-Union Mobilität/Ora

Der erste Versuch der chinesischen Autobauer, mit günstigen Verbrennern den deutschen Markt zu erobern, scheiterte grandios an desaströsen Crashtest-Ergebnissen und technischen Unzulänglichkeiten. Im Zeitalter der Elektromobilität startet die nächste Generation aus dem Reich der Mitte ihren zweiten Anlauf zugleich auch im hochpreisigen Segment. Neben Nio, die auf Audi, BMW, Mercedes, Tesla & Co. als Wettbewerber zielen, nimmt Great Wall Motors mit seiner Elektro-Submarke Ora kompakte Konkurrenten wie Mini E, Smart#1 oder ID3 ins Visier. Und nach den ersten Proberunden im Debütmodell Funky Cat liegt der Verdacht nahe: Das könnte klappen!

Die volle Aufmerksamkeit ist jedenfalls schon mal gewiss. Wo wir auch mit dem „flippigen Kätzchen“ auftauchten, wurden die Köpfe gedreht und die Handys gezückt. Die je nach Blickrichtung, mit runden Kulleraugen, gewölbten Kotflügeln und hübschem Heckbuckel, Mischung aus Porsche, Käfer, Mini und Comic-Auto gewinnt auf Anhieb Sympathiepunkte. Und auch innen gibt sich der 4,24 Meter lange und 1,83 Meter breite Stromer schick und hochwertig. Das Design ist klar und schnörkellos, die Materialauswahl und Farbgestaltung geschmackvoll. Das mit Wildleder-Imitat bezogene Armaturenbrett, die fein gearbeiteten Nähte und Blenden, der geriffelte Gangwahlknauf in der Mittelkonsole – was die Finger berühren, fühlt sich gut an. Ein eingelassenes Panel mit zwei integrierten 10,25-Zoll-Displays dominiert das Cockpit. Ansonsten gibt es kaum Tasten, bis auf vier Kippschalter, die wiederum an den Mini erinnern.

Das bemerkenswerteste Feature jedoch, wenn nicht das Alleinstellungsmerkmal im Kompaktsegment, dürfte die Software mit der cleveren Gesichtserkennung und Sprachbedienung sein. So startet das KI-System den Wagens erst, wenn die Kamera an der A-Säule den Fahrer erkannt hat, stellt bevorzugte Radiosender und Raumtemperatur ein und maßregelt ihn, wenn es eine Überschreitung des Tempolimits feststellt oder die Augen nicht auf die Straße gerichtet sind. Nach einem späteren Update soll es auch noch den Gemütszustand erkennen. Anders als bei anderen Herstellern kann der Sprachassistent wiederum nicht nur die Navigation sowie Klima- und Audioanlage regeln oder Witze erzählen, sondern auch Fenster, Kofferraum oder Schiebedach öffnen und schließen sowie Wikipedia-Einträge vorlesen.

Auch wird er nicht zwingend mit „Hey Ora“ aktiviert, sondern kann auch mit einem zuvor vergebenen Namen angesprochen werden. Unserer schien sogar non-binär, hieß „Tony“, klang aber eindeutig weiblich und unfreiwillig komisch, wenn er spätestens die dritte Ansprache im leicht säuerlichen Ton mit „Was gibt’s?“ konterte. Doch das dürfte mit dem nächsten Over-The-Air-Update behoben sein. „Es ist erstaunlich, wie schnell die chinesischen Entwickler auf Feedback und Änderungen reagieren“, sagt der deutsche Ora-Sprecher Jörg Machalitzky, der über langjährige Erfahrung mit japanischen und englischen Herstellern verfügt.

Na, wenn das so ist, hätten wir da noch ein paar Vorschläge. Da wäre vor allem die Schnellladeleistung, die mit maximal 67 kW diese Bezeichnung nicht wirklich verdient. Denn es dauert geschlagene 48 Minuten, bis der große Akku mit 63 kWh (netto: 59 kWh) von 15 auf 80 Prozent gefüllt ist. Bei der kleineren Lithium-Eisenphosphat-Batterie mit 48 kWh (netto: 45 kWh) sind es nur gut fünf Minuten weniger. Und auch das AC-Laden dauert mit maximal 11 kW mindestens sechseinhalb respektive fünfeinhalb Stunden, bis die Speicher komplett gefüllt sind. Da sind die Wettbewerber inzwischen deutlich schneller unterwegs.

Zum anderen ist während der Fahrt das Einblenden des toten Winkels im Navigations-Display zwar prinzipiell eine gute Idee, allerdings überlagert es auch die Kartendarstellung und man verpasst gerade im Kreisverkehr garantiert die richtige Ausfahrt. Auch eine zurücksetzbare Stromverbrauchsanzeige wäre sinnvoll ebenso wie die Integration des Smartphones via Apple Carplay und Android Auto.

Ansonsten gab es auf der ersten Testrunde wenig zu meckern. Der 126 kW (171 PS) starke Elektromotor hat keine Mühe den knapp 1600 Kilogramm schweren Stromer jederzeit munter voranzutreiben. Der Tritt aufs Fahrpedal erzeugt den elektrotypisch ansatzlosen Antritt, in knapp acht Sekunden sind Tempo 100 erreicht. Die Akkupacks im Fahrzeugboden sorgen für einen tiefen Schwerpunkt, mit dem das schnurrende Kätzchen sicher und stabil durch die Kurven fegt. Das Fahrwerk ist eher auf Komfort getrimmt, bügelt Dellen und Buckel im Asphalt konsequent aus. Die Lenkung darf gerne einen Tick direkter sein, wirkt auch im Sportmodus leicht gefühllos. Die Rekuperation lässt sich in drei Stufen einstellen, es gibt außerdem einen One-Pedal-Driving-Modus, in dem das Auto allein durch Gas-Weg-Nehmen zum Stillstand kommt.

Unter 38.990 Euro ist der ganze Spaß allerdings nicht zu haben. Und das auch nur mit der kleinen Batterie, mit der es sich im besten Fall bis zu 310 Kilometer weit fahren lässt. Wer den größeren Akku und damit bis zu 420 Kilometer Reichweite will, muss sogar mindestens 44.490 Euro auf den Tisch legen. Das ist eine Menge Holz für eine unbekannte Marke ohne Image und Erfahrungswerte. Nicht wenige Konkurrenten sind da entweder günstiger oder funktionaler. Doch Preis-Leistungs-Verhältnisse scheinen nicht immer entscheidend, wie die Erfolge von Mini oder Tesla zeigen. In Großbritannien soll es auch eine günstigere Einstiegsvariante um die 30.000 Euro mit Stahlfelgen, Kunststoffinterieur und weniger Ausstattung geben. Doch darauf verzichtet der deutsche Importeur.

Immerhin bietet Ora zum üppigen Preis eine ebensolche Ausstattung, die bei den direkten Konkurrenten nur gegen Aufpreis oder gar nicht zu finden ist. So ist die Konfiguration aus Dual-Screen-Cockpit mit Gesichtserkennung, intelligentem Sprachassistenten, Navigation und 360-Grad-Kamera stets inklusive. Auch LED-Scheinwerfer, eine Klimaautomatik, Sitzbezüge aus Kunst-, neudeutsch veganem Leder, 18-Zoll-Alufelgen sowie alle gängigen Assistenzsystems gehören immer zur Serie. In der von uns gefahrenen vorläufigen Topversion 400 Pro+ (47.490 Euro) sind außerdem ein Panorama-Glasschiebedach, Massagesitze, automatische Rückfahr und Einparkassistenten sowie – für die Reichweite nicht unwichtig – eine Wärmepumpen-Funktion an Bord.

Der vielleicht entscheidende Vorteil steht jedoch nicht in der Preisliste: die Lieferzeit. In drei bis vier Wochen nach Bestelleingang sollen die Fahrzeuge beim Kunden sein, verspricht der deutsche Importeur. Davon können Elektroauto-Käufer aller übrigen Marken nur träumen. (Frank Wald/cen)

Veröffentlicht am 24.02.2023

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