2020-04-19 09:16:00 Automobile

„Hitlerjunge Salomon“ feiert seinen 95. Geburtstag

Seinen 95. Geburtstag feiert Sally Perel am kommenden Dienstag (21. April 2020) seinen 95. Geburtstag, wegen der Corona-Pandemie allein zuhause in Givataim bei Tel Aviv (Israel). Das Nichtstun, behagt ihm gar nicht. Perel ist es gewohnt, unterwegs zu sein, jungen Menschen zu begegnen und sie bei Lesungen und Diskussionsveranstaltungen zu „impfen“. Mit Lesungen aus seiner weltbekannten Autobiographie „Ich war Hiltlerjunge Salomon“ möchte er sie gegen nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut immunisieren. „Ich hoffe vor allem, dass ich bald wieder reisen kann“, sagt Sally Perel uns am Telefon.

Sally Perel wuchs in einer jüdischen Familie in Peine auf, die vom NS-Regime verfolgt und aus Deutschland vertrieben wurde. Die NS-Zeit überlebte er mit einer falschen Identität als „Josef Perjell“, zunächst bei der Wehrmacht, später im Braunschweiger Volkswagen Vorwerk, wo er als Hitlerjunge Werkzeugmacher lernte. Perel erzählt seine Überlebensgeschichte seit gut 30 Jahren auf Lesereisen. Das Volkswagen Werk Braunschweig vergibt seit 2013 den „Sally-Perel-Preis für Respekt und Toleranz“ für beispielhafte Initiativen an Schülerinnen und Schüler. In der Region, aus der er stammt, tragen bereits zwei Schulen seinen Namen: die Sally-Perel-Gesamtschule Braunschweig und die Sally-Perel-Realschule Meinersen.

Sally Perel wurde 1925 in Peine geboren und erlebte eine glückliche Kindheit. Als er zehn Jahre alt war, zwang die antisemitische Verfolgung die sechsköpfige Familie zum Umzug ins polnische Łódź. Nach dem deutschen Überfall auf Polen und der Einweisung der Familie in das jüdische Ghetto musste Sally erneut fliehen. Die Eltern schickten ihn zusammen mit seinem ältesten Bruder in die Sowjetunion, wo sie sich verloren. Sally verbrachte einige Monate in einem Waisenhaus, bevor er im Juni 1941 nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion erneut fliehen musste.

Auf der Flucht wurde Sally von deutschen Soldaten aufgegriffen. Geistesgegenwärtig vergrub er seine Papiere und behauptete, er habe seine Familie in den Kriegswirren verloren. Die Soldaten nahmen ihm die hastig erdachte Identität als Volksdeutscher Josef Perjell ab. Als „Jupp“ wurde er nun Dolmetscher, denn er sprach Deutsch, Polnisch und Russisch. Um ihm eine Grundlage für sein ziviles Leben zu geben, entschied der Kompaniechef, dass Jupp eine Lehre in Deutschland absolvieren sollte.

Im Sommer 1943 kam „Jupp“ ins Volkswagen Vorwerk nach Braunschweig, wo er eine Lehre zum Werkzeugmacher begann. In diesem NS-Prestigeprojekt sollten die künftigen Facharbeiter auch in der Gesellschaft führende Rollen übernehmen. Sie erhielten darum eine ideologische und eine vormilitärische Schulung. Vor seinen Mitlehrlingen, die ihn um die Fronterfahrung beneideten, musste er seine wahre Identität verbergen. „Ich überlebte in der Haut des Feindes“, sagt Sally Perel. „Getarnt mit einem falschen Namen und der Hitlerjungen-Uniform.“ Tagsüber war er Jupp – in der Nacht jedoch, kam die Erinnerung an seine wahre Identität, an die Eltern und Geschwister, von denen er nicht wusste, ob sie noch lebten.

Als Teil des Volksturms erlebte Perel im April 1945 die Befreiung durch die US-Truppen. Seine falsche Identität hatte er so sehr angenommen, dass der Moment der Befreiung nicht reichte, um ihn auch von Jupp zu befreien. „Die Haut des Feindes klebte so fest an mir, da hat es eine ganze Zeit gedauert, bis sie sich gelöst hat“, sagt Perel. „Aber ich bin dem Jupp auch bis heute dankbar, ohne ihn hätte ich nicht überlebt.“

1948 ging Sally Perel nach Israel, wo schon seine beiden Brüder mit ihren Familien lebten. Die Eltern und seine Schwester waren im Holocaust ermordet worden. Er heiratete 1959 seine Frau Dvora und bekam mit ihr zwei Söhne. Seine Überlebensgeschichte, das war ihm schnell klar, war in Israel problematisch. Er sagte darum meistens, er habe mit falschen Papieren überlebt. „Das war nicht ganz die Wahrheit und dennoch nicht gelogen“, sagt er augenzwinkernd im Rückblick.

Erst Mitte der 1980er Jahre begann Sally Perel, sich mit seiner Geschichte intensiv auseinanderzusetzen und schrieb seine Erinnerungen an die Zeit der Verfolgung nieder. Der international mit Preisen ausgezeichnete und für den Oscar nominierte Film „Europa, Europa“ von Agnieszka Holland machte seine Geschichte Anfang der 1990er Jahre weltweit bekannt, in Deutschland unter dem Titel „Hitlerjunge Salomon“. (ampnet/Sm)

(Weiterführende Informationen zu Sally Perel finden Sie über die Download-Links zu unseren Publikationen „Überleben in Angst“ und „Nachkriegswege nach Volkswagen“)

Veröffentlicht am 19.04.2020

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