2022-05-07 15:11:00 Automobile

Wer will schon den Trend verschlafen?

Carzoom.de
Fotos: Auto-Medienportal.Net/Ford

Mit Trends ist es immer so eine Sache. Geht ein Unternehmen sie mit, um am Puls der Zeit zu bleiben oder bleibt der Schuster bei seinen sprichwörtlichen Leisten. Über so manche Firma brach ein Shitstorm enttäuschter Fans und Kunden herein, als sie den Auftritt verjüngen und Hand etwa an das Logo der geliebten Marke legten wollten. Für die Automobilbranche gilt, Kundenwünsche unterliegen einem stetigen Wandel. Da wäre es tödlich, Trends zu verschlafen. Doch das Automobil ist auch Traditionsträger. Ford steckte kürzlich besonders spektakulär in dieser Zwickmühle.

Das Kultmodell Ford Mustang sollte im Hier und Jetzt ankommen, selbstverständlich elektrisch, aber auch als trendiges SUV. Zwar wurde der neue Mustang gelobt. Doch Puristen und Mustang-Fans sahen es als unverzeihlichen Akt, dass Ford die Axt an die gewachsenen Begriffe vom amerikanischen Sport-Coupe und erst recht an den des Ponycars gelegt hat – einst erfunden für den Mustang als prototypisches Fahrzeug einer ganzen Gattung. Inzwischen hat sich der Ärger angesichts des Mustang Mach-E verzogen. Der Plan des Ford-Hauptquartiers in Dearborn am Detroit River ist aufgegangen.

Die Traditionalisten am Mittellandkanal hatten den SUV-Trend seinerzeit auch erkannt und mit der gewohnten Gelassenheit reagiert. 2002 erschien der Touareg bei Volkswagen als erster Versuch in Sachen SUV. Ihm folgte der mittelgroße Tiguan, der inzwischen das meistverkaufte Modell der Wolfsburger ist sowie die kleineren T-Cross und Taigo. Seit 2017 haben sie auch den T-Roc im deutschen Sortiment. Das Kompakt-SUV T-Roc wird auf der MQB-Plattform gebaut, wie auch der Golf und andere Konzernmarken.

Der T-Roc reihte sich aber nicht einfach bei den anderen SUV der Modellpalette ein. Er ist ein eigenständiges Modell mit eigener Designsprache, die ihn mit einer eigenen Erzählung abhebt vom gewohnt soliden und bis ins Detail perfekten Auftritt der anderen: jünger, frischer, kantiger als der Klassenbeste, der Golf. Zwar ist der T-Roc mit allen SUV-Eigenschaften ausgestattet, wie dem zwölf Zentimeter höheren Sitz und dem größeren Stauraum, doch wirkt er nicht schwerfällig, auch im Vergleich zu seinen Wettbewerbern. Das kommt an: Mit 11.245 Zulassungen im ersten Quartal 2022 rangiert der T-Roc auf Platz Eins der Neuzulassungen in seinem Segment, gefolgt vom Mercedes GLK (9687) und dem Konzernkollegen Cupra Formentor (9085). Der neue Charakter hat offenbar in diesem Fall keinen Widerspruch, sondern Erfolg gezeigt.

Das einzige aktuelle Volkswagen Cabrio ist ein T-Roc. Auch hier wird die charakterliche Distanz zum Golf spürbar und sichtbar, denn die offene Version war seit dem legendären „Erdbeerkörbchen“ eine Domäne des VW Golf. Ganz im Sinne der Karmann-Tradition von Volkswagen entsteht aber auch das aktuell einzige Modell mit Klappdach bei den Cabriospezialisten in Osnabrück.

Obwohl kompakt und technisch enger Verwandter entsteht der T-Roc aber nicht im Golf-Land am Mittellandkanal. Er wird in Portugal gebaut, wo im Werk Palmela auch Sharan und Seat Alhambra vom Band laufen. Die südliche Sonne und Emotion mögen auch dem T-Roc zugutekommen. Für das Cabrio ist Portugal jedenfalls eine optimale Kulisse.

Mit seinem jüngsten Facelift – Volkswagen nennt es Produktaufwertung – setzt das Kompakt-SUV noch einmal ein paar leichte Akzente. Im Innenraum haben die Wolfsburger offenbar auf Fans und Kunden gehört und die harten Plastikoberflächen mit aufgeschäumten Materialien den Erwartungen angepasst. Das Exterieur wurde ebenfalls dezent retuschiert, unter anderem mit einer neuen Lichtsignatur und einem überarbeiteten Kühlergrill. So soll er nach Meinung seiner Designer „fetter auf dem Rad stehen“ sowohl als Citycruiser oder Cabrio und für die ganz schnellen als R-Version mit Hang zur Rennstrecke.

Auch bei Ford haben sich die Puristen längst wieder beruhigt. Die Amerikaner bieten eben weiterhin das Ponycar Mustang als Klassiker und dem Mustang Mach-E als gelungenen Ausflug in die Elektromobilität. Der Mach-E hat lange Lieferzeiten wegen hoher Nachfrage. Schön, dass in der Autobranche heute das sowohl-als-auch das so-oder-garnicht ersetzt hat. Das bleibt hoffentlich noch lange so. (Tim Westermann, aum)

Veröffentlicht am 07.05.2022

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