Interview Lars-Peter Thiesen (Opel): „Viel zu kurz gesprungen, nur auf eine Technologie zu setzen.“
Können Sie die Vorteile des Brennstoffzellenantriebs in drei, vier Punkten benennen?
„Ein Brennstoffzellenauto ist ein Null-Emissionsfahrzeug. Es fährt elektrisch und aus dem Auspuff kommt nur Wasserdampf. Zweiter Punkt ist die Betankungszeit. Man kann die Autos bei 700 bar in drei Minuten betanken. Übrigens ein standardisierter Prozess, der anders als bei der Batterielektrik, wo es ja große Unterschiede gibt, international gilt. Dann die hohe Reichweite. Und ein vierter Punkt, der speziell auf unsere Anwendung im „Vivaro-e Hydrogen“ zutrifft: Wir erhalten den vollen Laderaum im Vergleich zu Verbrenner oder batterie-elektrischem Antrieb, was bei einem Brennstoffzellenantrieb keine Trivialität ist.“
Wie gelingt Ihnen das?
„Durch das sogenannte Mid-Power-Konzept. Dabei ist die Brennstoffzelle nur etwa halb so groß wie die Maximalleistung des Elektromotors, mit dem Vorteil, dass das System unter die Motorhaube passt. Die Wasserstofftanks ersetzen im Unterboden die große Traktionsbatterie des batterie-elektrischen Antriebs, und eine zusätzliche kleinere Batterie unter den Sitzen dient als Leistungspuffer und Energiereserve. So gibt es weder Einschränkung beim Packaging noch in der Anwendung.“
Und wo liegen die Nachteile des Brennstoffzellenantriebs?
„Es gibt im Wesentlichen drei Herausforderungen, vor denen wir noch stehen: Das erste ist die Tankstelleninfrastruktur. Wir haben in Deutschland zwar ein weltweit einzigartiges System mit rund 100 Tankstellen, aber für Kunden, die komplett auf Wasserstoff setzen, sollte das Tankstellennetz weiter ausgebaut werden. Zweitens sind die Kosten für die Fahrzeugkomponenten noch relativ hoch, weil die Stückzahlen noch überschaubar sind. Der Schlüssel zum Erfolg lautet hier ‚economies of scale‘, um die Kosten weiter zu reduzieren. Und dann gibt es noch die dritte Herausforderung, dass wir mittelfristig genügend „grünen“, also nachhaltig und klimaneutral produzierten Wasserstoff brauchen.“
Warum hat sich die Technologie noch nicht längst durchgesetzt? Sie sind immerhin seit mehr als 20 Jahren am Thema dran. Und die Technik scheint doch ausgereift bzw. kalkulierbar?
„Das stimmt. In der technischen Entwicklung haben wir die wesentlichen Hürden genommen. Das hat aber seine Zeit gebraucht. Beispielsweise bei der Kaltstartfähigkeit. Der Brennstoffzellenantrieb produziert ja Wasserdampf, der bei Minusgraden gefrieren kann, wenn er im System verbleibt. Hätten Sie mich 1999 gefragt, hätte ich gesagt: In zwei, drei Jahren haben wir das als Industrie im Griff. Es hat dann aber zehn Jahre gedauert. Opel hatte dann das erste Brennstoffzellenauto, das bei minus 20 Grad Außentemperatur ohne Hilfsaggregate abgestellt werden konnte. Der andere Punkt ist: Durch die E-Offensive trat die Wasserstoffentwicklung in den Hintergrund. Dazu gab es noch großen Abstimmungs- und Einigungsbedarf unter den industriellen Partnern, mit je unterschiedlichen Interessenslagen, wie etwa: Soll der Wasserstoff, mit dem die Brennstoffzelle fährt, direkt getankt oder an Bord aus Benzin oder Methanol reformiert werden? Wie soll der Wasserstoff im Auto gespeichert werden: flüssig oder unter Druck? Nach umfangreichen Tests mit beiden Technologien haben wir uns für Druck-Wasserstoff entschieden. Dann: Welches Druckniveau ist sinnvoll, 350 oder 700 bar? Wir hatten als erster Hersteller ein Auto mit der 700-bar-Technologie auf der Straße. Über lange Sicht war das ein Multi-Stakeholder-Projekt, bei dem viele ins Boot mussten: die anderen Hersteller, die Öl- und Energie-Branche, die Anlagenhersteller und die Tankstellenbetreiber. Nach diesem langen Weg freue ich mich, dass wir mit dem Opel Vivaro-e Hydrogen jetzt das erste Serienprodukt anbieten können, das auch schon bei ersten Kunden wie etwa Miele im Einsatz ist.“
Sie saßen von Anfang an mit im Boot. Wie wurde das Brennstoffzellen-Projekt vorangetrieben?
„1999 saß ich schon mit den anderen Herstellern, der Energieindustrie und dem Verkehrsministerium zusammen, und wir haben uns auf Wasserstoff als Zukunftskraftstoff geeinigt. 2002 haben wir die Clean Energy Partnership gegründet, ein Demonstrationsprojekt, das in Berlin und anderen großen Städten lief, um der Politik, Öffentlichkeit und Kunden zu zeigen, dass Wasserstoff als Kraftstoff für Autos funktioniert. Wir haben das Ministerium von einer gesamtheitlichen Strategie überzeugen können. Daraufhin wurde 2008 die NOW (Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, die Red.) gegründet, mit dem Ziel, nicht nur F&E-Projekte (Forschung & Entwicklung, die Red.), sondern den Markthochlauf mit entsprechender Infrastruktur zu fördern. Der nächste Meilenstein war 2015 die Gründung der H2 Mobility, um das Henne-Ei-Problem zu lösen, indem mal mindestens 100 Tankstellen aufgebaut werden. Und schließlich 2020 die nationale Wasserstoffstrategie, mit dem Ziel, einen schnellen Markthochlauf für grünen Wasserstoff zu schaffen.“
Wobei Kritiker hier einwenden würden, man solle den Grünen Wasserstoff nicht im Individualverkehr verbrennen, sondern stationär einsetzen?
„Wohl wahr. Da wird dann gesagt, wir brauchen ihn vornehmlich für bestimmte Industriezweige wie die Stahlindustrie. Das kann ich auch alles verstehen. Nur wird es dort vielleicht auf einen geforderten Kilopreis von ein, zwei Euro hinauslaufen. Im Verkehrssektor sind aber deutlich höhere Preise zu erzielen. Unsere Haltung dazu ist ganz klar: Man soll es dem Markt überlassen und nicht per Direktive anordnen, welche Branche den grünen Wasserstoff bekommt. Nur so kann es funktionieren.“
Aber ohne staatliche Förderung geht es auch nicht?
„Wir sind jetzt nach 20 Jahren an dem spannendsten Punkt. Wir sind nicht mehr bei Demonstration, aber auch noch nicht bei Massenproduktion. Wir machen jetzt den Hochlauf. Hier sind die Stückzahlen noch relativ gering, und die Komponenten kosten noch viel. Deshalb braucht es hier noch staatliche Unterstützung, um den Marktzutritt zu gewährleisten. Mit der Förderung, die komplett den Endkunden zugute kommt, können wir diesen dann entsprechend interessante Leasingraten anbieten.“
Sie konkurrieren mit der Brennstoffzellentechnologie ja mit der Batterieelektrik? Oder sehen Sie das nicht als Konkurrenz?
„Es ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Für den Kunden und für uns als Unternehmen brauchen wir beides, die Technologien sind komplementär. Ein Beispiel: Wir haben viele Kunden, in deren Betriebsmodell der Mitarbeiter das Auto mit nach Hause nimmt, z.B. bei Monteuren oder Servicetechnikern, wie etwa aktuell bei Miele, die den Vivaro-e Hydrogen im Einsatz haben. Die Mitarbeiter haben häufig kein Eigenheim, die können schlichtweg nicht laden. Das Auto parkt auf der Straße und am nächsten Morgen fahren sie wieder los. Da braucht es das klassische Tankstellen-Modell. Damit will ich sagen: Wenn wir in der Mobilität zukünftig 100 Prozent Null Emissionen wollen, dann gibt es viele Kunden, die batterieelektrisch nicht bedient werden können, aber sehr wohl mit der Brennstoffzelle. Deshalb brauchen wir beide Technologien, weil es gewerbliche Bereiche gibt, die nicht auf Basis von Batterieelektrik ihrem Geschäft nachgehen können.“
Also Batterie für Privatleute und Brennstoffzelle für Business?
„Mit der weiteren Verbreitung der batterie-elektrischen Fahrzeuge wird die Nutzung immer klarer werden – und wo ihre Begrenzung liegt. Wir wissen beispielsweise, dass 44 Prozent der Stellantis-Lieferwagenkunden täglich nicht weiter als 300 Kilometer fahren. Das heißt im Umkehrschluss aber, das 56 Prozent auch weiter fahren. Und da ist es wichtig, sich nicht lange an einer Ladestation aufzuhalten. Selbst wenn in absehbarer Zeit das Laden vielleicht schneller geht, kann es dann immer noch sein, dass viele Leute an der Ladesäule vor mir sind. Und da ist das Tanken von Wasserstoff in drei Minuten klar im Vorteil – so, wie wir das von den bisherigen Kraftstoffen kennen.“
Wann wird es die Brennstoffzelle für Pkw geben?
„Wir konzentrieren uns im Moment erstmal auf das wichtige Segment der Lieferwagen. In zwei Jahren wird es auch noch ein größeres Modell geben. Dazu wollen wir die Produktionskapazität von jetzt 1000 auf 10.000 Autos in 2024 hochfahren. Beim Pkw müssen wir sehen, wie sich der Markt und die Situation an sich entwickelt.“
Der politische Mainstream favorisiert gerade die batterieelektrische Elektromobilität, nicht zuletzt mit dem Hinweis auf den besseren Wirkungsgrad gegenüber Wasserstoff. Was entgegnen Sie Ihren Kritikern?
„Wenn ich immer die Zeit und die Möglichkeit habe und sich immer ein Windrad dreht, wenn ich laden will, dann ist es am sinnvollsten, die Energie batterieelektrisch zu nutzen. In punkto Praktikabilität aber gibt es, wie ich schon sagte, Branchen, wo das nicht geht. Viel entscheidender ist aber das größere Bild: Wir werden in Zukunft viel, viel mehr erneuerbare Energie brauchen, weil Europa und die Welt sich das Ziel gesetzt hat, CO2-neutral zu werden. Die wird aber nicht vor unserer Haustür gewonnen, sondern dort, wo es günstig ist. Beispielsweise in Australien, wo die Entstehungskosten für Windkraft ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde betragen. Das ist weit weg vom Ort des Verbrauchs und muss irgendwie transportiert werden. Hier wird Wasserstoff als Speichermedium für erneuerbare Energien eine wichtige Rolle spielen. Und wenn ich diese Energie erstmal per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt habe, um sie speicherbar und transportfähig zu machen, dann ist es natürlich sinnvoll, den Wasserstoff auch gleich im Brennstoffzellenfahrzeug zu nutzen und nicht wieder zu verstromen, um damit ein Batterieauto zu laden. Von daher ist die Wirkungsgraddiskussion mit dem Tanken und Laden des einzelnen Autos viel zu eng gefasst. Das große Bild muss man sehen und nicht das kleine, wie der Wirkungsgrad hier gerade vor meiner Haustür ausfällt. In dem Zusammenhang ist es viel zu kurz gesprungen, nur auf die eine Technologie zu setzen. Wir haben den Vivaro-e Hydrogen entwickelt, weil wir sehen, dass es für bestimmte Gruppen und für die Zukunft sinnvoll ist.“ (Frank Wald, cen)
Veröffentlicht am 29.06.2022
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